Systemführerschaften: Der sanfte Druck für gute Lösungen im öV

Das Parlament hat mit der Behandlung der Botschaft zur Organisation der Bahninfrastruktur (OBI) begonnen. Diese Botschaft befasst sich im Kern mit derjenigen Frage, welche seit Jahren die zentrale Herausforderung für den öV darstellt: Wie müssen Wettbewerb und Kooperation abgestimmt sein, damit das öV-System möglichst optimal ausgestaltet ist und die Passagierinnen und Passagiere möglichst komfortabel reisen können?

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Vor 20 Jahren wurde mit der Bahnreform in der Schweiz begonnen. OBI ist ein weiterer Schritt dazu, das System des öffentlichen Verkehrs (öV) möglichst optimal auszugestalten. Dieses steht im Spannungsfeld zwischen staatlich bestellten Verkehren, mehrheitlich halb- bis ganzstaatlichen Transportunternehmen sowie einer Vielzahl von regionalen Verbünden und dem berechtigten Interesse der Passagierinnen und Passagiere an einfacher und komfortabler Mobilität. Mit OBI beantragt der Bundesrat unter dem Titel 'Systemführerschaften' ein Instrument, welches bei Bedarf für übergeordnete Aufgaben im öffentlichen Verkehr einheitliche Lösungen ermöglichen soll.

Es steht ohne Zweifel fest, dass in vielen Fällen die Unabhängigkeit von Transportunternehmen oder Verbünden zu effizienten und kreativen Lösungen führt. In bestimmten Fällen macht die Vielfalt jedoch wenig Sinn. Ein Beispiel ist das Register für Schwarzfahrer, für welches das Parlament vor zwei Jahren die Rechtsgrundlage geschaffen hat. Der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) setzt sich für eine schweizweite Lösung ein, doch erhält er nur wenig Unterstützung, da verschiedene Transportunternehmen an ihren eigenen, isolierten Registern festhalten. Selbst wenn der VöV in einiger Zeit ein schweizweites Register schaffen wird, bleibt es allen Transportunternehmen frei, sich daran zu beteiligen oder auch nicht. Das ist weder effizient noch wirksam.

Damit alle einfacher reisen können

Optimierungspotenzial ist auch anderswo vorhanden: Jugendliche, welche ein "Gleis 7"-Abo gelöst haben, müssen bei jeder Fahrt überprüfen, ob das Transportunternehmen das Abo anerkennt. Für Kinder und Jugendliche gelten in einzelnen Verbünden unterschiedliche Altersgrenzen bzw. Ermässigungen. Zusätzlich gibt es Abweichungen bei der Geltungsdauer derselben Fahrausweisen (z.B. Tageskarten). Immer wieder zu Problemen führt die Frage, inwieweit Zonen-Fahrausweise bei Fahrten in Schnellzügen angerechnet werden können. Und schliesslich müssen Hundebesitzer vor Fahrtbeginn prüfen, ob sie für ihren Hund ein Billet lösen müssen. Heute kann je nach Reise das Gewicht, die Grösse oder gar die Reiseart (Schoss, Korb) ausschlaggebend sein. Insgesamt gibt es in der Schweizer öV-Welt tausende von verschiedenen Fahrausweisarten. Bisher hat es die öV-Branche nicht geschafft, ihr Sortiment zu straffen und zu vereinheitlichen.

Die schwerfälligen Strukturen sind für alle Reisenden, die nicht über ein Generalabonnement (GA) verfügen, ein Ärgernis im Reisealltag. Sie schrecken gelegentliche Nutzer ab und gefährden den Quantensprung beim einfachen Zugang zum öV, den die Digitalisierung verspricht. Derzeit befinden sich verschiedene Apps in Erprobung, bei welchen die Reisenden in den öV einsteigen können, ohne sich vorher mit Billettalternativen auseinandersetzen zu müssen. Damit erhalten Personen ohne Generalabonnement beim Reisen GA-Komfort. Anstatt nun die Vertriebssysteme für diese Apps zu öffnen, gibt es bereits Bemühungen, den Zugang zu einzelnen Billettsortimenten einzuschränken. Wenn es die Branche nicht schafft, zügig einen einheitlichen, nationalen Standard und den generellen Zugang zum gesamten Fahrausweissortiment für alle Anbieter zu etablieren, droht der schweizerische öV den Anschluss an die technische Entwicklung zu verlieren.

Hier setzt die Systemführerschaft an: Der neue Rechtsartikel schafft die Möglichkeit, dass Branchenlösungen für alle verbindlich werden. Bei der Bahninfrastruktur gibt es dieses Instrument seit Jahren und es hat sich bewährt: Es ermöglichte beispielsweise, dass die Rhätische Bahn den Standard für ein neues Zugbeeinflussungssystem für Schmalspurbahnen entwickelt oder die SBB den Bahnstrom für alle Bahnen produziert.

Die Systemführerschaft ist kein Blankoscheck

Der Antrag, solche Systemführerschaften im Bereich des Verkehrs und damit allenfalls bei den Fahrausweisen einzuführen, hat bei einigen Akteuren Ängste geweckt. Diese basieren teilweise auf Missverständnissen, teilweise auf dem Bedürfnis, weiterhin an eigenen Lösungen festhalten zu können. Es geht dem Bund nicht darum, die Hoheit über das Fahrausweis-Sortiment oder gar das Festlegen der öV-Tarife zu übernehmen. Dafür soll weiterhin die öV-Branche verantwortlich bleiben. Der Bund möchte einzig die Grundlage schaffen, damit er bei Bedarf einer geeigneten Branchenorganisation die Kompetenz geben kann, einheitliche Lösungen zu suchen und umzusetzen. Der Systemführer ist gesetzlich verpflichtet, mit allen Unternehmen, Kantonen und Anspruchsgruppen eine schriftliche Vereinbarung über Inhalt und Umfang der Systemaufgabe abzuschliessen. Sollte der entsprechende Vorschlag in der OBI-Vorlage zu wenig klar sein, ist das BAV zu Gesprächen und Anpassungen bereit.

Mit der Systemführerschaft weitet der Bund ein bekanntes Instrument auf den Verkehrsbereich aus, um einheitliche Lösungen im Interesse der Reisenden zu finden. Die Kompetenz der Transportunternehmen und Verbünde, die Tarife so anzupassen, dass die nötigen Erlöse erwirtschaftet werden können, bleibt unangetastet.

In der anstehenden Frühlingssession (9. März) wird der Nationalrat die OBI-Vorlage behandeln.

 

BAV-News Nr. 47 Februar 2017

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