Vermeintliche und echte Herausforderungen rund um den längsten Eisenbahntunnel der Welt

Mit dem Fahrplanwechsel vom vergangenen Wochenende wurde der Gotthard-Basistunnel, mit 57 Kilometern längster Eisenbahntunnel der Welt, ins schweizerische Eisenbahnnetz integriert. Damit ist ein Bauwerk in Betrieb, von dem es in den letzten Jahrzehnten wiederholt hiess, es sei nicht oder nur mit grossen negativen Folgen realisierbar. Viele Kritiken und Befürchtungen sind inzwischen widerlegt. Vor "normalen" Herausforderungen ist indes auch der neue Tunnel nicht verschont.

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Als am 31. März 1996 eine Probebohrung auf zuckerförmigen, wasserhaltigen Dolomit traf, sahen sich die Skeptiker bestätigt: Der Gotthard-Basistunnel würde wegen zu schwierigen geologischen Voraussetzungen nie gebaut werden können. Die "Piora-Mulde" wurde zum geflügelten Wort und versinnbildlichte die Herausforderungen, welche beim Bau des längsten Eisenbahntunnels der Welt zu überwinden waren. Im nachhinein zeigte sich, dass die fragliche Gesteinsschicht weniger Wasser führte und weniger problematisch war als von einigen befürchtet. 2008 und 2009 konnten die Mineure die Mulde mit den Tunnelbohrmaschinen ohne grosse Probleme durchbohren.

Herausforderungen hatte der Gotthard-Basistunnel auch bei der Finanzierung zu bewältigen. 1992 wurde dem Volk eine langfristig eigenwirtschaftliche NEAT versprochen mit Kosten von 14,9 Mia. Franken (Preisstand 1991). Die Kritiker befürchteten ein Finanzdebakel mit Kosten von bis zu 30 Mia. Franken. Das Versprechen der Wirtschaftlichkeit bewahrheitete sich nicht. Deshalb musste nachgebessert werden. Bei der Volksabstimmung zum FinöV-Fonds von 1998 veranschlagte der Bundesrat die Kosten für die NEAT auf 13,6 Milliarden Franken (Preisstand 1995). Insbesondere mit der laufenden Weiterentwicklung von Technik und Sicherheitsstandards und wegen Verbesserungen zu Gunsten von Bevölkerung und Umwelt stieg die Kostenprognose aber bald an. Kritiker warnten, die NEAT sei ein Fass ohne Boden. Das Fass wurde zwar grösser, aber es blieb dicht: Seit das Parlament 2008 im Rahmen der "Gesamtschau FinöV" den NEAT-Kredit auf 19,1 Milliarden Franken (Preisstand 1998 - entspricht rund 23 Milliarden Franken zu heutigen Preisen) fixiert hat, ist die Endkostenprognose sogar leicht sinkend. Im Ausland wird die Schweiz darum benieden, dass sie das Jahrhundertbauwerk ohne grössere Überraschungen bei Kosten und Terminen fertiggestellt hat.

2006 machte ein Temperaturschock Schlagzeilen: der Tunnel sei zu heiss, die Züge würden im Tunnel überhitzen, die Klimaanlagen ausfallen oder das Rollmaterial die Temperaturunterschiede im Winter nicht überstehen. Auch diese Befürchtung war bloss warme Luft - ebenso wie diejenige, dass durch den Bau des Tunnels Staumauern bersten könnten.

In den letzten Monaten vor der Inbetriebnahme tauchte dann eine neue Kritik auf: die Planer hätten den Luftwiderstand im Tunnel unterschätzt und die angepeilten Geschwindigkeiten liessen sich nicht erreichen. Diese Behauptung war schon falsch, als sie aufgestellt wurde: Im Probebetrieb zeigte sich, dass Geschwindigkeiten und Angebote wie vorgesehen gefahren werden können.

Herausforderungen durch Bauarbeiten auf den Zufahrtsstrecken

Mit gewissen praktischen Herausforderungen sieht sich indes der Gotthard-Basistunnel auch nach der erfolgreichen Inbetriebnahme konfrontiert. Probleme, welche vier Loktypen bei dem im Tunnel installierten Zugbeeinflussungsystem ETCS Level 2 verursachten, konnten dank den gemeinsamen Anstrengungen von BAV, Eisenbahnverkehrsunternehmen und Industrie bereits gelöst werden. Wie aber bei grossen Eisenbahninfrastruktur-Projekten üblich, muss die SBB in den ersten Monaten gewisse Einschränkungen in Kauf nehmen verschiedene Auflagen abarbeiten, bis alle Funktionalitäten wie geplant genutzt werden können.

Zudem werden Ausbauten auf den Zufahrtsstrecken in den nächsten Jahren den Betrieb auf der Gotthard-Basislinie einschränken. 2017 wird vor allem der Unterbruch der einspurigen Luino-Strecke am östlichen Ufer des Lago Maggiore im zweiten Halbjahr spürbar sein. Dieser ist nötig, um damit die ganze Gotthard-Achse für Transporte mit vier Metern Eckhöhe tauglich gemacht werden kann. Für die rund 40 Güterzüge pro Tag müssen Fahrmöglichkeiten auf anderen Achsen gefunden werden. Auch im Personenverkehr auf der Gotthard-Achse führen laufende oder geplante Bauarbeiten zu Einschränkungen, ehe per Ende 2020 mit ausgebauten Zufahrtsstrecken und dem Ceneri-Basistunnel ein Quantensprung mit massiv kürzeren Reisezeiten, integralem Halbstundentakt Deutschschweiz-Tessin und der Tessiner S-Bahn Realität wird. Gebaut wird in den nächsten Jahren unter anderem am Axen, am Ostufer des Zugersees und im Tessin. Und schliesslich ist für die Schweiz auch wichtig, dass die Ausbauten der Zulaufstrecken im grenznahen Ausland Schritt haltend mit der Verkehrsnachfrage durch den Tunnel weitergehen, so wie dies bereits in den 1990er Jahren mit Deutschland und Italien in Staatsverträgen vereinbart worden war.

 

BAV-News Nr. 46 Dezember 2016

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