«Menschliche Faktoren sind zentral»
05.08.2025 – Per Anfang August hat Stefano Oberti die Leitung der Abteilung Sicherheit des BAV übernommen. Der 46-jährige promovierte Maschineningenieur ETH folgt auf Rudolf Sperlich, welcher in Pension gegangen ist. Im Interview spricht Stefano Oberti über seine Herkunft, seine Pläne für die ersten Monate im BAV und Voraussetzungen für eine funktionierende Aufsichtstätigkeit.

Du warst bisher als Sektionsleiter Flugsicherung im Bundesamt für Zivilluftfahrt tätig. Was bringst Du aus dieser Tätigkeit mit für Deine neue Funktion im BAV?
Vor allem ein systemisches Verständnis dafür, wie komplexe Infrastrukturen funktionieren und wie entscheidend Vertrauen zwischen den beteiligten Akteuren ist. Vertrauen ist die Voraussetzung, dass ein Dialog entstehen kann. Über den Dialog mit der Branche erhalten wir als Aufsichtsbehörde die nötigen Informationen zum operativen Betrieb. Und der Dialog ermöglicht es uns als Aufsichtsbehörde, unsere systemische Perspektive einzubringen und Verbesserungen oder sogar Innovation zu ermöglichen. Ich war beim BAZL beispielsweise an der Einführung innovativer, noch nicht regulierter Flugoperationen für die Luftrettung beteiligt. Dank diesen können Patienten in allen Wetterlagen per Helikopter verlegt werden. All dies war nur möglich dank Vertrauen und gegenseitiger Anerkennung der Kompetenzen. In meiner neuen Funktion im BAV will ich auf der Basis von Vertrauen und Dialog dazu beitragen, Mobilität als lebendiges System zu verstehen und Lösungen zu fördern, die seiner Komplexität Rechnung tragen, sowohl im Bereich der Regulierung als auch der Aufsicht.
Du stammst aus dem Tessin. Wie prägt Dich das bei Deiner beruflichen Tätigkeit?
Die engen Täler, die Nähe zu Italien und die geografische Lage am Rand der Schweiz prägen die Tessinerinnen und Tessiner. Ich habe früh gelernt, über Grenzen hinwegzudenken. Ich erlebe Unterschiede dies- und jenseits von Grenzen oder Organisationen nicht als etwas Negatives, sondern als etwas Bereicherndes.
Meine Vorfahren im Tessin waren einfache Menschen: Bauern, Holzfäller, Handwerker. Von ihnen habe ich eine bescheidene Haltung gelernt. Davon profitiere ich gerne, besonders wenn ich mich auf neue Themen oder unbekannte Felder einlasse. Als Ingenieur fasziniert mich das Potenzial von Technologie, Daten und KI. Zugleich weiss ich von meinen Vorfahren, die Menschen der Praxis waren, wie wichtig Wissen aus der Praxis ist. Hinter jeder Technologie stehen Menschen und Organisationen, die sie entwickelt haben und sie in Betrieb halten. Sie bringen das ein, was kein Algorithmus je ganz erfassen kann: Intuition, Urteilsvermögen, Erfahrung. Diese menschlichen Faktoren sind ein zentraler Teil dessen, was Systeme resilient macht.
Was sind Deine Prioritäten und Schwerpunkte für die ersten Monate im BAV?
Meine Herkunft hat auch Auswirkungen darauf, wie ich an Neues rangehe. Ich beobachte, versuche zu verstehen und vor allem zu spüren, wie das System funktioniert. Es hilft sehr, zuzuhören, wie die Leute reden und welche Metaphern sie benutzen. Das gibt ein Bild der Kultur.
Zugleich will ich verstehen, wie das System aufgebaut ist: Wer sind die internen und externen Akteure? Wie hängen sie zusammen, wie funktionieren sie und wie ist ihre Kultur? Ich werde versuchen, mir im Kopf eine Landkarte zu zeichnen. Dieses Verständnis und Gespür zu entwickeln, ist für mich ein wesentlicher Schritt, um mich in der Komplexität des Schweizer OV-Systems zurechtzufinden.
Ein Wechsel und eine neue Funktion sind immer eine Chance: Für mich, weil ich ein neues Umfeld entdecken darf. Für das BAV, weil ich als «Neuer» auch eine Aussensicht einbringe – oder, wie man in der Luftfahrt sagen würde, einen «Blick von oben». Diese Phase ist nur kurz, deshalb gilt es sie zu nutzen. Bald werde auch ich wie ein «BAV-ler» sprechen.
