Der Landverkehr im institutionellen Abkommen mit der EU

Der Bundesrat hat eine Konsultation zum vorliegenden Entwurf eines institutionellen Abkommens mit der Europäischen Union (EU) gestartet. Die Grundlagen und Errungenschaften der Schweiz im Güterverkehr auf der Strasse und im öffentlichen Verkehr (zusammenfassend: «Landverkehr») würden durch das institutionelle Abkommen gefestigt. Der Schweizer Binnenmarkt bleibt geschützt und es bestehen keine Verpflichtungen zur Liberalisierung der nationalen Verkehrsmärkte weder im Güter- noch im Personenverkehr.

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Das bestehende, fast 20-jährige Landverkehrsabkommen ist zusammen mit vier weiteren Binnenmarktabkommen, welche die Schweiz mit der EU abgeschlossen hat, vom institutionellen Abkommen direkt betroffen. Die im institutionellen Abkommen vorgesehene dynamische Rechtsübernahme schreibt vor, diese Abkommen regelmässig an relevante Entwicklungen des EU-Rechts anzupassen. Auf diese Weise werden Rechtsabweichungen und damit beim Landverkehr Probleme beim internationalen Marktzugang oder der technischen Kompatibilität («Interoperabilität») vermieden. Damit können der Zugang von Schweizer Unternehmen zum europäischen Markt sowie die technische Kompatibilität der Verkehrssysteme langfristig sichergestellt werden. Das Schweizer Strassentransportgewerbe, der Schienenverkehr und die Rollmaterialindustrie sind auf einen diskriminierungsfreien Zugang zum EU-Binnenmarkt angewiesen.

Ausnahmen bei der dynamischen Rechtsübernahme

Nicht alle Bereiche des Landverkehrsabkommens sind vom Prinzip der dynamischen Übernahme von relevanten EU-Rechtsentwicklungen betroffen. Der Textentwurf sieht vielmehr explizite Ausnahmen vor. Die EU anerkennt damit, dass beim Landverkehr folgende zentralen Errungenschaften der schweizerischen Verkehrspolitik langfristig erhalten werden

  • 40-Tonnen-Limite für Lastwagen
  • Verbot für EU-Anbieter, innerhalb der Schweiz Transporte im Strassenverkehr durchzuführen (Kabotageverbot)
  • Nacht- und Sonntagsfahrverbot
  • Beschränkung der Strassenkapazitäten für den Strassengüterverkehr auf dem aktuellen Niveau.
  • Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) mit einer Abgabenhöhe deutlich über dem EU-Niveau.
  • Die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs können weiterhin verpflichtet werden, Reisenden, die das Streckennetz mehrerer Transportunternehmen benutzen, einen einzigen Fahrausweis anzubieten (sogenannter «Direkter Verkehr»).
  • Der Takt-Verkehr im öV kann gegenüber anderen Verkehrsarten priorisiert werden.

Mit der 40-Tonnen-Limite, dem Kabotageverbot sowie dem Nacht- und Sonntagsfahrverbot im Strassenverkehr bleibt der Schweizer Binnenmarkt geschützt. Diese Elemente der schweizerischen Verkehrspolitik sowie die LSVA und die Beschränkung der Strassenkapazitäten anerkennt die EU mit dem Landverkehrsabkommen bereits seit fast 20 Jahren an. Mit den letzten beiden Punkten – Tarifintegration und Taktsystem - anerkennt die EU im Rahmen des institutionellen Abkommens zusätzlich schweizerische Errungenschaften im öffentlichen Verkehr.

In den übrigen Bereichen des Landverkehrs verpflichten sich die Schweiz und die EU, relevante EU-Rechtsakte so rasch wie möglich in das Landverkehrsabkommen zu integrieren. Die Schweiz entscheidet jedoch nach wie vor eigenständig über jede Übernahme einer EU-Rechtsentwicklung gemäss den normalen innerstaatlichen Verfahren inklusive die Möglichkeit eines Referendums. Die Schweiz wird zudem bei der Erarbeitung der relevanten EU-Rechtsentwicklungen im Landverkehr (wie bei allen Bereichen, die unter das institutionelle Abkommen fallen) systematisch miteinbezogen. Auf diese Weise kann sie ihre Anliegen frühzeitig einbringen.

Keine Liberalisierung – neues Verfahren bei Differenzen

Das Landverkehrsabkommen bezieht sich auf den internationalen Verkehr. Das bleibt mit dem institutionellen Abkommen gleich. Deshalb begründet das institutionelle Abkommen für die Schweiz keinerlei Verpflichtung zur Liberalisierung der nationalen Verkehrsmärkte – weder im Güter- noch im Personenverkehr. Demgegenüber wäre die Schweiz gehalten, den grenzüberschreitenden Personenverkehr unter Berücksichtigung der oben genannten roten Linien zu öffnen, wie dies in der EU bereits der Fall ist.

Mit dem institutionellen Abkommen könnten sowohl die Schweiz als auch die EU bei Differenzen, welche sie nicht innerhalb von drei Monaten im Gemischten Ausschuss beilegen können, die Einsetzung eines paritätischen Schiedsgerichts verlangen. Wirft die Streitigkeit eine Frage betreffend die Auslegung oder Anwendung von EU-Recht auf und ist die Beantwortung dieser Frage für die Entscheidfällung durch das Schiedsgericht relevant und notwendig, befasst dieses den Europäischen Gerichtshof damit. Der Entscheid über den Streitfall selbst obliegt jedoch allein dem Schiedsgericht. Setzt eine der Parteien den Entscheid des Schiedsgerichts nicht um, kann die andere Partei Ausgleichsmassnahmen ergreifen. Solche Ausgleichsmassnahmen müssten jedoch verhältnismässig sein. Die Möglichkeit von Ausgleichsmassnahmen ist heute bereits im Landverkehrsabkommen vorgesehen, dort ohne Garantie für die Verhältnismässigkeit. Bisher wurden im Rahmen des Landverkehrsabkommens noch nie Ausgleichsmassnahmen ergriffen.

 

BAV-News Nr. 66 Februar 2019

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