Rastatt und die Lehren

Die Sperre der Oberrheinstrecke zeigt in aller Deutlichkeit die Verletzlichkeit der Eisenbahn-Transitachsen und sie hat verschiedene Schwachstellen des Bahnsystems offen gelegt. Die verantwortlichen Stellen müssen bei der Bewältigung der Krise einen zusätzlichen Effort leisten und schnell die Lehren aus diesem Ereignis ziehen. Eine bessere internationale Kooperation und eine verstärkte operative Zusammenarbeit unter den Bahnen haben oberste Priorität.

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Vorab: Die Schweiz trägt eine Mitschuld an diesem Unterbruch, ist der Rastatter Gütertunnel doch eines der Projekte, welche die Kapazität der nördlichen Zufahrten zu den NEAT-Strecken erhöhen soll. Er wurde von der Schweiz im Rahmen des Staatsvertrags mit Deutschland immer wieder gefordert. Ironie des Schicksals, dass genau dieser Tunnelbau zur jetzigen Krise führt.

Der Unterbruch in Rastatt ist der vorläufige Höhepunkt eines schwierigen Jahres im alpenquerenden Güterverkehr, welcher durch die eingeplante Sperre der Luino-Linie, die vielen Baustellen für den 4-Meter-Korridor, den Bau von Ausweichstellen für 740 Meter lange Güterzüge sowie unzählige Unterhaltsbaustellen stark beeinträchtigt wurde. Nichtsdestotrotz war der Juli 2017 leistungsmässig der drittbeste Monat aller Zeiten im alpenquerenden Verkehr. Auf der Simplon-Achse wurden sogar absolute Tagesbestwerte verzeichnet. Die Verlagerungspolitik funktioniert und der Verkehr ist da.

Die Politik darf für sich in Anspruch nehmen, vieles in die Wege geleitet zu haben: Es wurden allein in der Schweiz 24 Mia. Franken in den Bau der NEAT-Basisstrecken investiert. Jeder auf der Bahn durch Schweiz transportierte Container wird subventioniert. Mit neuen Instrumenten werden die Trassen des Güterverkehrs gegenüber dem Personenverkehr gesichert. Die Schweiz hat die europäische Logistikbranche mit mehreren Korridorkonferenzen für die neuen Möglichkeiten des Schienengüterverkehrs sensibilisiert. Auf Betreiben der Schweiz und von Deutschland haben sich die Verkehrsminister im Frühling 2017 in Leipzig zur weiteren Förderung der Güterverkehrskorridore bekannt. Eine wesentliche Forderung war eine bessere Baustellenplanung. Auf Verwaltungsebene finden seit 2003 Treffen auf höchster Ebene statt, um die Planungen der verschiedenen Länder abzustimmen und voran zu bringen. Deutschland wird voraussichtlich ab 2018 die Trassenpreise für den Güterverkehr halbieren und unterstreicht damit das Bekenntnis zum Schienengüterverkehr.

Schwachstellen aufgezeigt

Der Unterbruch hat indes verschiedene Schwachstellen des Bahnsystems aufgezeigt: Die Baustellenplanung der Infrastrukturbetreiber auf der gesamten Achse ist seit Jahren als Problem erkannt. Doch auch 2017 hat dies grenzüberschreitend zu wenig gut funktioniert. Die Luino-Sperre wurde zwar vorausschauend geplant und Alternativrouten wurden festgelegt, viele weitere Baustellen erschwerten jedoch die Betriebsführung.

Das Krisenmanagement der Netzbetreiber und der Bahnen war nach dem Unterbruch in Rastatt ungenügend. In der ersten Phase lag der Blickpunkt nur auf dem Personenverkehr. Die Problemanalyse und die Festlegung der Massnahmen zur Behebung der Streckensperre haben zu lange gedauert. Der anfänglich kommunizierte, viel zu kurze Termin der Streckenwiedereröffnung auf den 26. August hat dazu geführt, dass viele Akteure mit Massnahmen zugewartet haben. Die Koordination innerhalb der Infrastruktur-Unternehmen hat zu wenig schnell funktioniert: Baustellen werden nur sukzessive aufgelöst.

Die internationale Koordination mit dem Ausweich-Korridor über Frankreich spielt schlecht. Der grenzüberschreitende Einsatz ist immer noch mehr Theorie als Praxis. Die Güterbahnen haben nicht die Ressourcen und die Flexibilität, um schnell andere Leitwege zu fahren. Es gibt immer mehr Ausweich-Trassen, aber es fehlen auch Wochen nach der Sperre Loks und Lokführer.

Die Forderungen nach Hilfe des Staates erschallen umgehend in Form tieferer Trassenpreise oder höherer Subventionen. Das BAV wird prüfen, ob in diesem Jahr die nicht beanspruchten Verbilligungsbeiträge den Operateuren und den Eisenbahnverkehrsunternehmen als Kompensation für den zusätzlichen Aufwand gleichwohl erstattet werden können. Eine langfristige Subventionierung ist jedoch ausgeschlossen. Sie würde dazu beitragen, die ungenügende Qualität und die ungelösten Probleme mit Subventionen zu überdecken.

Bahnen sind gefordert

Vielmehr braucht es ein Engagement der Bahnen auf höchster Managementebene, um die bekannten operativen Probleme zu lösen und die grenzüberschreitende Abstimmung sicher zu stellen. Dazu zählen eine Korridororganisation mit dem Willen zu grenzüberschreitenden Lösungen und echten Befugnissen, eine korridorweite Baustellenplanung und ein entsprechendes Monitoring, die Optimierung der betrieblichen Abläufe an der Grenze  oder die überfällige Realisierung von ETCS im Grenzübergang der Schweiz zu Deutschland und zu Italien.

Anlässlich der Eröffnung wurde der Gotthard-Basistunnel als ein Weckruf für alle Bahnunternehmen propagiert, besser miteinander zu kooperieren. Zwei Massnahmen wurden unter den Bahnen vereinbart:

  • Ab Dezember 2017 sollen direkte Personenzüge zwischen Frankfurt/Main und Mailand durch die Schweiz verkehren.
  • Es sollen Wege erörtert werden, wie mit einer grenzüberschreitenden Trassenplanung und der Reservierung der internationalen Trassen nach dem Gotthard-Modell die Wirkung des Basistunnels auf dem ganzen Güterverkehrskorridor Rotterdam–Genua genutzt werden kann.

 

Die Verbesserungen im Güterverkehr lassen auf sich warten. Die trinationale Verbindung Frankfurt–Schweiz–Milano soll wie vereinbart ab Ende Dezember 2017 verkehren. Für 2020 ist ein 'Superveloce' von Zürich nach Mailand angekündigt. Er kann nur geführt werden, wenn dazu einige Gütertrassen geopfert werden. Am Beispiel dieses Zuges wird sich zeigen, wie die Bahnen ihre Prioritäten im alpenquerenden Verkehr setzen. Fortschritte und greifbare Resultate in der operativen Zusammenarbeit im Güterverkehr wären wesentlich dringlicher als einzelne 'Superveloci'.

Dr. Peter Füglistaler
Direktor BAV

 

 

BAV-News Nr. 53 September 2017

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