Nach Rastatt: Stärkung der internationalen Zusammenarbeit

Nach mehr als siebenwöchigem Unterbruch rollt der Verkehr auf der Rheintalbahn zwischen Basel und Karlsruhe seit dem 2. Oktober 2017 wieder normal. Doch die Folgen sind noch nicht bewältigt. Dies gilt auf operativer Ebene beim Abbau der zurückgestauten Güter, vor allem aber auf politischer und betrieblicher Ebene. Ein zentrales Element der "Lehren aus Rastatt" besteht darin, dass die internationale Kooperation bei der Bewältigung solcher Ereignisse gestärkt werden muss.

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© Keystone EPA Ronald Wittek

Nach dem Unterbruch der Rheintalbahn bei Rastatt am 12. August benötigte die DB Netz AG mehr als sieben Wochen, um die Strecke wieder instand zu stellen. Während dieser Zeit gelang es den zuständigen Infrastrukturbetreibern nicht, genügend Umleitungen innerhalb Süddeutschlands oder auf der linken Rheinseite in Frankreich bereitzustellen, welche die quantitativen und qualitativen Anforderungen der Güterbahnen erfüllt hätten. Die Güterbahnen selber leisteten zwar Sonderefforts konnten jedoch aufgrund operativer Probleme wie fehlender Lokomotivführer oder Triebfahrzeuge und technischer Besonderheiten die vorhandenen Trassen nur ungenügend nutzen. Dies hatte im Güterverkehr riesige Auswirkungen entlang des ganzen Korridors Rhein-Alpen von den Niederlanden bis nach Italien zur Folge.

Die Behinderungen im Personenverkehr waren zwar lästig aber bewältigbar, wobei der ersatzlose Ausfall des Nachtzuges zwischen Zürich/Basel und Berlin/Hamburg am ärgerlichsten war.

Massnahmen auf politischer und behördlicher Ebene

Die Schweiz war stark mitbetroffen, konnte aber nur indirekt Einfluss auf die Bewältigung der Krise nehmen. Auf politischer Ebene suchte Bundespräsidentin Doris Leuthard den Kontakt zu Ihren Amtskolleginnen und -kollegen in den benachbarten Ländern, um deren Problembewusstsein zu schärfen, was auch zur schnelleren Wiederinstandsetzung der Strecke beitrug. Der Bund ermöglichte rasch und unbürokratisch temporäre Ausnahmeregelungen – etwa betreffend die Gewichtslimiten im kombinierten Verkehr zu den süddeutschen Umladeterminals und für längere Schiffe auf dem Rhein. Auch wurde das Angebot der rollenden Landstrasse durch die Schweiz kurzfristig erhöht. Damit schuf der Bund die Voraussetzungen, dass Ersatztransporte rascher bereitgestellt werden konnten. Weil die Betriebsabgeltungen im alpenquerenden kombinierten Verkehr nach effektiver Leistung ausbezahlt werden, wurden im entsprechenden Kredit Mittel frei. Ein Teil dieser Fördermittel wurden für Sofortmassnahmen eingesetzt, indem den betroffenen Operateuren vorübergehend höhere Betriebsbeiträge pro gefahrenen Zug ausbezahlt werden. Dies soll es dem Schienengüterverkehr durch die Alpen ermöglichen, sich nach der einschneidenden Sperrung der Rheintalstrecke wieder im Markt zu verankern und entstandene Verluste wettzumachen.

Bessere internationale Koordination

Die Sperrung der Rheintalstrecke zeigt die hohe Bedeutung der Infrastrukturverfügbarkeit für die Glaubwürdigkeit des Schienengüterverkehrs und die Verlagerungspolitik. Dies gilt für den gesamten Nord-Süd-Korridor zwischen den Benelux-Ländern und Norditalien. Es muss aus Sicht des BAV alles daran gesetzt werden, dass die Sperrung der Rheintalstrecke ein einmaliges Ereignis bleibt. Die Korridore müssen stärker als europäisches Projekt angegangen werden.

Dies kann nicht durch Infrastrukturbetreiber, Bahnen und Behörden auf nationaler Stufe allein erfolgen. Entscheide über das Vorgehen zur Wiederinbetriebnahme und Konzepte für Umleitungen haben Auswirkungen weit über nationale Überlegungen und rein unternehmerische Entscheide der betroffenen Infrastrukturbetreiber hinaus. Deshalb müssen die mitbetroffenen Länder und Unternehmen in geeigneter Weise einbezogen werden. Hierfür bieten sich die Gremien der europäischen Schienenverkehrskorridore an. Deren Möglichkeiten müssen besser ausgeschöpft werden. Nur so werden bei einem künftigen Ereignis rechtzeitig genügend Kapazitäten auf Ausweichrouten zur Verfügung stehen. Und nur so werden bei einem künftigen Ereignis von Beginn weg nicht nur isolierte betriebswirtschaftliche, sondern die übergeordneten volkswirtschaftlichen Auswirkungen berücksichtigt.

Die Gremien der europäischen Schienenkorridore können folgende Massnahmen ergreifen oder prüfen:

  • Für den Fall geplanter oder unvorhergesehener Streckenunterbrechungen sind für alle Streckenabschnitte des Rhein-Alpen-Schienengüterverkehrskorridors durch die Korridorgremien alternative Strecken für die Umleitung von Güterzügen zu bezeichnen und gegenüber den Infrastrukturbetreibern als verbindlich zu erklären.
  • Die Redundanz zwischen dem Rhein-Alpen-Korridor und dem Nordsee-Mittelmeer-Korridor muss im operativen Bereich verbessert werden. Dafür ist eine massiv engere und institutionalisierte Zusammenarbeit als bisher erforderlich.
  • Es sind auf Korridorebene Notfallpläne zu erarbeiten, die das Vorgehen bei Streckenunterbrechungen regeln. Eine Task Force auf Stufe Korridor soll als Ansprechpartner für alle Eisenbahnverkehrsunternehmen und Operateure im Ereignisfall sofort operativ werden.
  • Die Umsetzung des europäisch standardisierten Zugbeeinflussungssystems ETCS muss auch für die Alternativstrecken Priorität haben. Nur so kann sichergestellt werden, dass Züge von den Korridorstrecken umgeleitet werden können.
  • Die Planung und Abstimmung geplanter Baumassnahmen muss verbessert werden.


Die Infrastrukturbetreiber müssen bei Projekten an strategisch wichtigen Bahnstrecken ihr Risikomanagement verbessern und Vorsorgemassnahmen treffen:

  • Im Rahmen der Planung und Realisierung von Bauprojekten 'unter Betrieb' muss weitestgehend ausgeschlossen werden, dass unvorhergesehene Ereignisse eine Streckenschliessung zur Folge haben. Es muss sichergestellt werden, dass Strecken auch nach Unterbrechungen infolge Wetterereignissen oder Unfällen möglichst schnell wieder befahrbar sind, zumindest teilweise.
  • Die schnelle Eröffnung einer Strecke muss höher gewichtet werden als mögliche Folgeschäden am Bauwerk. Die Priorisierung der Massnahmen muss durch die verantwortliche Infrastrukturunternehmung getroffen werden und nicht durch die beauftragte Bauunternehmung oder Projektleitung.

 

Die Güterbahnen, welche sich im Regelfall konkurrenzieren, müssen für den Störungsfall die Zusammenarbeit verbessern:

  • Im Störungsfall ist die grösstmögliche Menge an Gütern zu transportieren. Dazu ist es nötig, dass sich die Güterbahnen gegenseitig unterstützen und in die Krisenstäbe der Korridorgremien oder der Infrastrukturbetreiber eingebunden sind.
  • Die Güterbahnen haben sich vorzubereiten, dass sie im Störungsfall alternative Strecken befahren können. Dazu ist das Personal entsprechend auszubilden, oder es sind Partnerschaften mit anderen Bahnen abzuschliessen. Insbesondere ist sicherzustellen, dass genügend Lokführer mit den entsprechenden Sprachkenntnissen verfügbar sind.

 

Auch die bilaterale Zusammenarbeit auf Ebene der Verkehrsministerien muss intensiv weitergehen. Ironischerweise ereignete sich die Gleisabsenkung in Rastatt beim Bau eines Tunnels, der in Erfüllung des Staatsvertrags zwischen Deutschland und der Schweiz für den Ausbau der Zufahrtsstrecken zur NEAT gebohrt wird. Dies zeigt, dass Deutschland den Ausbau der Rheintalbahn voran treibt, wenn auch langsamer als ursprünglich geplant. Aktuell werden in Absprache mit den Schweizer Behörden bauliche und betriebliche Massnahmen geplant, um die Kapazität der Rheintalbahn für den Güterverkehr kontinuierlich und Schritt haltend mit der Verkehrsnachfrage zu erhöhen. Im schweizerisch-deutschen Lenkungsausschuss werden die Fortschritte beim Ausbau der Rheintalstrecke regelmässig überprüft und diskutiert. Trotz internationaler Abstimmung ist die Umsetzung von Massnahmen auf den TEN-T-Korridoren teils weiterhin schleppend, da die Investitonsentscheide auf nationaler Ebene getroffen werden. Deshalb sind folgende Massnahmen angezeigt:

  • Die EU sollte die Investitionsmittel für Projekte auf den TEN-T-Korridoren wenn möglich so einsetzen, dass die Investitionsmassnahmen zur Kapazitätserhöhung und zur technischen Vereinheitlichung schneller umgesetzt werden.
  • Auf nationaler Ebene muss den Investitionen für den Güterverkehr eine höhere Priorität eingeräumt werden. Massnahmen für den Güterverkehr werden oft schlechter beurteilt als Investitionen in Hochgeschwindigkeitsstrecken oder den Ausbau des Agglomerationsverkehrs.
  • Die Umsetzung der Interoperabilität und die Zulassung von Fahrzeugen auf europäischer Ebene muss unterstützt werden.
  • Die Verkehrsminister der Korridorländer sollen sich regelmässig treffen, um die Massnahmen abzustimmen und die politische Unterstützung zu sichern.

 

Zum letzten Punkt hat die Schweiz schon 2017 zusammen mit Deutschland eine Korridorkonferenz im Rahmen des ITF in Leipzig initiiert, zu welchem auch Infrastrukturbetreiber und Güterbahnvertreter eingeladen wurden. Die Schweiz strebt an, auch 2018 eine entsprechende Konferenz durchzuführen.

Folgen für die Verkehrsverlagerung

Sofern der Betrieb rasch wieder zuverlässig abgewickelt werden kann, erwartet das BAV keine langfristigen negativen Folgen des Unterbruchs bezüglich der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und sieht deshalb keine weitergehenden Fördermassnahmen vor. Die Bahnen konnten während des Unterbruchs der Rheintalstrecke im alpenquerenden Verkehr durch die Schweiz dank Sonderefforts rund zwei Drittel der normalen Menge transportieren. Die Lastwagenfahrten nahmen nur geringfügig zu, nach ersten Grobschätzungen fanden maximal 1500 zusätzliche Fahrten pro Woche über die Schweizer Alpen statt. Indes konnten während des Unterbruchs der Rheintalbahn zahlreiche Transportbedürfnisse nicht befriedigt werden und die Sonderanstrengungen führten oftmals zu hohen Zusatzkosten.

Rastatt muss ein einmaliges Ereignis bleiben wenn der Schienengüterverkehr das Vertrauen, das er in den letzten Jahren dank guten Leistungen aufgebaut hat, behalten will.

 

BAV-News Nr. 54 Oktober 2017

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