"Potenziale benutzerfreundlicher Transportketten nutzen"

Die Digitalisierung der Angebote und die Entwicklung selbstfahrender Fahrzeuge stellt nicht nur den Strassenverkehr, sondern auch den gesamten öffentlichen Verkehr vor grosse Herausforderungen und eröffnet diesem neue Potenziale und Chancen. Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) hat dem Bundesamt für Verkehr (BAV) in diesem Bereich eine federführende Rolle übertragen. Das BAV hat seit Anfang Jahr mit Gregor Ochsenbein einen Spezialisten für diese Fragen.

BAV-News Gregor Ochsenbein
Gregor Ochsenbein

Frage: Welche Bereiche bearbeiten Sie genau?

Antwort: Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung und Automatisierung im BAV keine One-Man-Show ist. Viele Mitarbeitende im BAV sind in der einen oder anderen Form mit den neuen Entwicklungen konfrontiert oder setzen sich aktiv mit bestimmten Teilgebieten auseinander. Ich bearbeite im Moment in erster Linie einen Auftrag des Bundesrats. Dieser hat am 11. Januar 2017 den Bericht zu den Rahmenbedingungen der digitalen Wirtschaft verabschiedet. Daraus resultierte ein Auftrag ans UVEK zu prüfen, wie der Austausch von Mobilitätsdaten gefördert und der Zugang zu Reservations- und Vertriebssystemen erweitert werden könnte.

Worum geht es bei diesem Auftrag genau?

Ziel ist es, die Rahmenbedingungen abzuklären und zu verbessern, damit die Potenziale benutzerfreundlicher Transportketten bzw. digitaler Angebote mit einander ergänzenden Mobilitätsformen genutzt werden können. Innerhalb des UVEK hat das BAV hierfür die Federführung erhalten. Die Bundesämter für Strassen, Raumentwicklung und Kommunikation sind im Projektausschuss ebenfalls vertreten und arbeiten intensiv mit.

Welche Rolle spielen dabei die Daten?

Es geht darum, dass in Zukunft verkehrsträgerübergreifende Daten zugänglich sind, die es ermöglichen, verschiedene Mobilitätsangebote zu kombinieren. Konkret klären wir ab, unter welchen Voraussetzungen Endkunden die verschiedenen Mobilitätsangebote einfacher finden, vergleichen und bedürfnisgerecht auswählen und letztlich als Paket reservieren und kaufen können. Nebst dem Potenzial und den Chancen sollen auch die Risiken abgeschätzt werden. Damit werden die Grundlagen für weitere Bundesratsentscheide erarbeitet.

Welche Rolle kann und soll der Staat bei den sich anbahnenden Veränderungen bezüglich Digitalisierung des Vertriebs übernehmen?

Im Rahmen des Projektes sollen die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten geprüft werden. Neben klassischer staatlicher Regulierung sind auch Anreize für Lösungen aus der Wirtschaft denkbar, wobei zu definieren ist, wo der Staat als Lückenfüller auftreten soll. Da eine gesetzliche Regulierung erfahrungsgemäss mindestens vier Jahre dauert, könnte es auch hilfreich sein, bedarfsmässig die Handlungsspielräume für Pilot- und Testprojekte zu erweitern und dann erst bei Bedarf zu regulieren.

Daneben ist viel die Rede von automatisierten Fahrzeugen - sowohl auf Strasse als auch auf Schiene. Was tut das BAV hier?

Das automatische Fahren auf der Strasse eröffnet für den öV neue Perspektiven. Verbunden mit Sharing-Modellen oder Taxiflotten sind ganz neue öV-Modelle denkbar. Die heutige Marktlage zeigt aber klar, dass es gar nicht so einfach ist, neue Mobilitätsangebote wie ein Sammeltaxi zu etablieren und wirtschaftlich zu betreiben. Diese Entwicklung verfolgen wir eng. Zudem ist das BAV an Pilotprojekten und konkreten Praxiserfahrungen mit automatischem Bahnbetrieb interessiert. Dieser ist unter den heutigen rechtlichen Rahmenbedingungen bereits grundsätzlich möglich.

Und wie werden automatische Züge Realität?

Im Zusammenhang mit neuen Verkehrskonzepten und Technologien, insbesondere der Entwicklung selbstfahrender Züge, ist es unabdingbar, zuerst Konzepte zu entwickeln, wie diese schrittweise auf ihre Praxistauglichkeit hin erprobt und eingeführt werden können. Bisher ist, trotz verschiedener Ankündigungen von Bahnunternehmen in der Öffentlichkeit, beim BAV kein Gesuch für einen Pilotversuch eingegangen. Das BAV ermuntert Bahnunternehmen, gemeinsam mit der Industrie entsprechende Pilotprojekte aufzugleisen und Gesuche einzureichen. Bei entsprechendem Interesse von Bahnen und/oder der Industrie ist das BAV bereit, zu prüfen, wie eine allfällige Unterstützung durch den Bund aussehen könnte.

Derzeit plant das BAV den Bahnausbauschritt 2030/35. Ist hier das automatisierte Fahren auch ein Thema?

Das BAV selber prüft im Rahmen der derzeit laufenden Arbeiten für den Ausbauschritt 2030/35, ob sich die Strecke Neuenburg - La Chaux-de-Fonds im Sinne eines Pilotprojekts für alternative Verkehrskonzepte wie z. B. selbstfahrende Züge eignen würde. Zur vertieften Abklärung hat das BAV in Absprache mit den Behörden des Kantons Neuenburg eine Studie lanciert. Deren Ergebnisse werden in die Vernehmlassungsvorlage zum Ausbauschritt 2030/35 einfliessen, welche der Bundesrat bis Ende 2017 verabschieden wird.

Wie wird sich für die gewöhnlichen Nutzerinnen und Nutzer der Mobilitätsalltag ändern - und wann?

Niemand weiss heute mit Sicherheit, wie sich die Mobilität in den kommenden Jahrzehnten verändert. Sicher ist aber, dass sie sich verändern wird. Ich bin zuversichtlich, dass wir alle in einigen Jahren oder Jahrzehnten noch komfortabler unterwegs sind und von massgeschneiderten Lösungen auf der Basis weiter entwickelter Technologien profitieren.

 

BAV-News Nr. 48 März 2017

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